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Monatsbericht

Juli 2022

Veröffentlicht am Lesezeit 5 Minuten

Die Börsen zeigten im Juli deutliche Erholungstendenzen, doch die Marktteilnehmer bleiben wegen rückläufigen Wachstumsraten der global bedeutenden Volkswirtschaften und hoher Inflation skeptisch. Das Problem ist aber nicht das sinkende BIP-Wachstum – die Aktien- und Anleihemärkte haben dies bereits vor Monaten eingepreist. Das eigentliche Problem ist die Inflation, da sie sich strukturell auf die Bewertung aller Anlageklassen auswirkt. Allerdings haben die vom Markt abgeleiteten Daten den Fokus nun auf das Potenzial für eine bevorstehende Disinflation verlagert. Und ein solches Makroumfeld wäre weniger negativ, als das vom Konsens erwartete «Untergangsszenario».

An dieser Stelle wurde bereits Anfang 2021 vor stark steigenden Inflationsraten und rückläufigem Wachstum gewarnt (siehe u.a. Webinar: Postpandemischer Boom: Frühlingsgefühle und Sonnenstich). Diese Entwicklung ist längst Realität geworden und heute auf den Titelblättern aller Wirtschaftszeitungen zu lesen. An der Börse wird aber bekanntlich nicht die Gegenwart, sondern die Zukunft gehandelt. Und vor diesem Hintergrund dürfte es viel interessanter sein, was nicht auf Seite 1 der Zeitungen steht.

Wer spricht von einer möglichen Rückkehr der Deflation?

So hohe Inflationsraten wie jetzt wurden zuletzt in den 1970er Jahren verzeichnet. Allerdings wird die derzeitige Inflation im Wesentlichen von vier Faktoren bestimmt, die sich alle ganz oder zumindest teilweise umkehren dürften:

  1. Die Inflation ist in der Pandemiezeit auf ein sehr niedriges Niveau gesunken. Da die Inflationsraten gegenüber dem Vorjahr gemessen werden, fallen die Zahlen seit 12 Monaten durch die tiefe Vergleichsbasis wesentlich höher aus.
  2. Probleme in den Lieferketten, die zum Teil auf COVID zurückzuführen sind, verursachen einen Aufwärtsdruck auf die Preise, denn es bestand einfach eine zu grosse Nachfrage nach Waren und diese konnten nicht in den gewünschten Mengen an die Verbraucher geliefert werden.
  3. Stimulus-Programme: Im Westen wurden Konjunkturprogramme aufgelegt, die sich durchschnittlich auf 11% des BIP in den entwickelten Volkswirtschaften und gar 25.5% des BIP in den USA belie-fen. Allein die USA haben über 5.3 Billionen Dollar in die Wirtschaft gepumpt, wovon der grösste Teil direkte Zahlungen an Privatpersonen waren. Die Probleme in den Versorgungsketten wären viel leichter zu bewältigen gewesen, wenn die Nachfrage nicht eben-falls um 20% über das normale Niveau gestiegen wäre.
  4. Rohstoff-Boom: Höhere Preise von Energie-, über Industrie- bis hin zu Agrarrohstoffen heizten die Inflation zusätzlich an. Die Preissteigerungen sind teils Folge von Unterinvesitionen in den vergangenen Jahren, aber teilweise auch auf temporäre Lieferengpässe in Folge gestörter Lieferketten zurückzuführen.

Median der Rohstoffperformance nach dem 2-Jahreshoch (blau) vs. Median des Verbraucherpreisindex nach dem 2-Jahreshochs (schwarz; um 4 Monate nach vorne zeitversetzt)

Quelle: Pervalle Global, Bloomberg

Wie im Monatsbericht vom Juni dargelegt, zeichnet sich seit einigen Monaten eine deutliche Entspannung ab, sowohl bei den Lieferketten, als auch bei den Schiffcontainer­raten und den Rohstoffpreisen. Die Inflation ist ein nachlaufender Indikator. Wie aus der Abbildung oben ersichtlich wird, folgen die 2-Jahres-Hochpunkte der Konsumentenpreise den Rohstoffpreis­rückgängen nach den 2-Jahres-Hochs mit einer Zeitverzögerung von etwa vier Monaten.

Das wahrscheinlichste Szenario ist daher, dass die Inflation in der zweiten Jahreshälfte 2022 und im Jahr 2023 zurückgehen und sich am Schluss doch als «vorübergehend» erweisen wird. Die Verbraucher schwimmen aktuell noch im Geld der Transferzahlungen und geben weiter fleissig Dollars aus. Aber dies wird nicht ewig so weiter gehen, denn am Schluss wird der Konsum von den Einkommen diktiert werden.

Wissenschaftliche Untersuchungen zu Konjunkturprogrammen kommen mehrheitlich zur Erkenntnis, dass der Grossteil dieser Ausgaben in den ersten 12 Monaten nach Erhalt getätigt werden. Im Moment wächst der reale Verbrauch noch mit einer jährlichen Rate von etwa 4%, weil die Menschen weniger sparen. Sie versuchen, ihre Ersparnisse zu nutzen, um ihren Konsum zu finanzieren.

Weil ein Grossteil der Konjunkturhilfen in den Jahren 2020 und 2021 ausgezahlt wurde, dürften die überschüssigen Ersparnisse die hohen Verbraucherausgaben mindestens bis Jahresende weiter stützen. Die Herausforderung besteht aber darin abzuschätzen, was in den Jahren 2023 und 2024 geschehen wird, wenn diese überschüssigen Impulse vollständig aus der Wirtschaft verschwunden sind. Der Fiskalimpuls in den USA (-4% bis -7%) deutet auf eine deutlich straffere Fiskalpolitik hin und diese Entwicklung ist (mit Zeitverzögerung) nicht inflationärer, sondern disinflationärer Natur.

Auf «Überstimulus» folgen eine «Übernachfrage» nach Gütern, «Überproduktion» und «Überlagerbestände»

Tatsächlich könnte 2023 sogar ein Hauch von Deflation drohen. Der «Überstimulus» der Fiskalprogramme hat echte Dollars in den Taschen der Verbraucher geschaffen und zu einer «Übernachfrage» nach Gütern geführt. Da in den globalen Lieferketten, verstärkt durch die «Just-in-Time-Produktion», die Lagerbestände knapp waren und jedes darin involvierte Unternehmen versuchte, für sich selbst genügend Komponenten zu sichern, führte die gestiegene Endnachfrage zu immer heftigeren Verwerfungen und Preisverzerrungen.

So wurden in der Chipbranche Doppel- und Dreifachbestellungen platziert, um die Chancen zu erhöhen, die wichtigen Halbleiterkomponenten zu erhalten. In Folge der Containerknappheit wurde die Produktion von Schiffscontainern ebenfalls um das Doppelte oder Dreifache erhöht, verglichen mit dem Durchschnitt der letzten 20 Jahre.

Die Folgen dieser «Überproduktion» machen sich in «Überlagerbeständen» bemerkbar. Tatsächlich liegen die realen Warenbestände im US-Einzlhandel (ausgenommen Kraftfahrzeuge) 15% über Trend, was einem Volumen von über 70 Mrd. USD entspricht (siehe Grafik unten). In den letzten Wochen haben einige der grössten US-Ladenketten, darunter Target, Walmart, Gap und andere, in ihren Quartalszahlen berichtet, dass sie zu viele Waren auf Lager haben, von Trainingsbekleidung, Frühlingsjacken und Kapuzenpullis bis hin zu Gartenmöbeln und sperrigem Kinderspielzeug. Es kostet sie viel Geld, diese Güter zu lagern. In den Geschäften werden bereits Preisnachlässe gewährt, um Produkte aus dem Sortiment zu nehmen. Es besteht eine reale Gefahr, dass es zu einem Liquidationszyklus kommt, der die Preise nach unten treibt.

Reale Warenbestände im Einzelhandel ex-Kraftfahrzeuge vs. Trend

Quelle: Bloomberg, Keynote Funds AG

Der Aktienmarkt hat bereits deutliche Gewinnrückgänge eskomptiert

Sollte sich die oben skizierte Einschätzung zur Inflation als korrekt erweisen, dann hat der Aktienmarkt bereits Gewinnrückgänge von 15% diskontiert. In der säkularen Baisse der 1970er Jahre waren die Aktienkursrückgänge immer grösser als die Rückgänge der Unternehmensgewinne (siehe Grafik unten). Hintergrund dieser Entwicklung ist die Tatsache, dass die Marktbewertung durch zwei Faktoren reduziert wurde: Auf der einen Seite durch ein geringeres Gewinnwachstum respektive Gewinnrückgänge, und auf der anderen Seite durch die nachhaltig steigenden Zinssätze in Folge strukturell höherer Inflationsraten (Stichwort Bewertungskontaktion).

In den letzten Jahrzehnten, insbesondere nach dem Platzen der TechnologieBlase im Jahr 2000 (diese war durch massive Überbewertungen gekennzeichnet), entsprach die Höhe der Aktienkursrückgänge immer der Höhe der Gewinnrückgänge (siehe Grafik unten).

Kurs- und Gewinnrückgänge (Forward P/E) des S&P 500 (Abschnitt oben) vs. US-Konsumentenpreisinflation (Abschnitt unten) von 1965 bis 2022

Quelle: Alpine Macro

Inzwischen haben sich die Langfristzinsen deutlich von den Mitte Juni verzeichneten Hochpunkten entfernt. Entsprechend scheint die Nachricht vom Anleihemarkt, der in aller Regel ein besserer Frühindikator und etwas schlauer als der Aktienmark ist, eindeutig: Derzeit braucht es keine sehr hohen Zinssätze, um mit dem Inflationsproblem fertig zu werden.

Mit anderen Worten: Wenn die Inflation in sechs bis zwölf Monaten deutlich niedriger notiert, dann ist eine weitere Anpassung in Form einer Bewertungskontraktion nicht nötig, zumal die Notenbanken bereits in wenigen Monaten einen «dovischen» Schwenk vollziehen könnten. Damit sind die Grundlagen für eine weiter anhaltende Aktien-Rallye vorhanden.

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